A.5.0 Einleitung
Um das Weiterwirken der Folgen der propagandistisch gebahnten Abwertung aller von der NS-Norm abweichenden Menschengruppen im NS, seiner Kritiker und politischen Gegner und deren organisierte Verfolgung, Entrechtung und Vernichtung näher auszuloten, werden – weil so viele Menschengruppen betroffen sind - hier nach und nach im Curriculum Unterkapitel entstehen. Diese sollen einen basalen Kenntnisstand über die verfolgten Gruppen und was ihnen widerfuhr, vermitteln. Auf dieser Basis wird über biografische Beispiele deutlicher, was mit den Verfolgten - und auf Grund der NS-Instrumente „Schutzhaft“ und „Sippenhaft“ - auch mit ihren Partnern und Kindern geschah und wie sich die Folgen von all dem bei den Nachkommen in den Familien der Überlebenden auswirk(t)en. Da hier vieles noch gar nicht systematisch erforscht wurde, entsteht so zumindest ein erster Einblick. Ohne diesen erschließt sich für uns PsychotherapeutInnen nicht der besondere Erfahrungs- und Wahrnehmungshintergrund der von Verfolgung Betroffenen in unserer Arbeit mit ihnen und damit auch nicht die oft tiefer liegenden Ursachen ihres psychischen Leids, ihrer Ängste, Probleme, Fixierungen und Wurzellosigkeitsgefühle, ihre besonderen Loyalitätsbindungen und inneren Konflikte, Defizite etc.
Als Einstieg zum Verfolgtenhintergrund wird das Filmdokument Zeichen setzen empfohlen, ein Film von Pröll Josef, Fritz Schwarzbäcker, Inge Kroll (2025). In diesem vermitteln Nachkommen von politisch Verfolgten aus der Augsburger Erinnerungswerkstatt erste Eindrücke und Informationen zum gesamten Verfolgtengruppen-Spektrum. Ihre Arbeit, die das Entstehen und Präsentbleiben einer Erinnerungskultur zum Thema Verfolgung in der NS-Diktatur vor Ort ermöglicht(e), ist nicht nur ein ermutigendes Beispiel, sondern zeigt auch, wie wichtig persönlich vermittelte Informationen über die NS-Zeit für eine auf die Rechtstrendentwicklung bezogene Aufklärungsarbeit ist. Auch für die psychotherapeutisch und pädagogisch Arbeitenden ist über diesen Film ein veranschaulichender Einstieg möglich.
Was geht uns die NS-Verfolgung heute an?
Gerade heute macht es das Erstarken der Neuen Rechten in Europa und ihre social-media-gestützte Verbreitung von erneut die Menschenrechte negierenden Narrativen, ihre Hassrhetorik, die vielen tätlichen Angriffe auf Minderheiten und Asylanten-Heime, politische Gegner, Obdachlose, die zählebigen Diskriminierungen von Sinti und Roma und People of Color und die erneuten Einschränkungen der Rechte von geschlechtlich anders ausgerichteten Menschen notwendig, ausführlicher auf den NS-Hintergrund hierzu einzugehen und sich hiermit auch auf persönlich familiärer Ebene auseinanderzusetzen. Erneut wächst Antisemitismus und Rassismus und die Rede von Remigration wird europaweit von den rechten Parteien in die Mitte der Gesellschaft getragen. Auch wird der Topos der NS-Sprache mit Begriffen wie Umvolkung oder Bevölkerungsaustauschwieder eingängig gemacht. Hierfür wird erneut der/ die Fremde als angstbesetztes Feindbild generiert und überwiegend auf islamgläubige Migranten bezogen, hierzu jedes islamistische Attentat dankbar aufgegriffen. Dieses Feindbild generiert subtil, oftmals auch ohne Nennbezug, erneut ein national Ganzes von angeblich Gleichen, das potenziell NS-Ideal- und Bedrohungs-Narrative aus dem Familienhintergrund und deren intergenerationale Weitergestaltungsvarianten mit abruft.
Und da die Verfolgung und Vernichtung aller vom NS-Ideal abweichenden Menschengruppen gesellschaftssystemisch und organisatorisch breit angelegt war, ist anzunehmen, dass sich die oben genannte Entwicklung im politisch rechten Spektrum und seinen Akteuren selbst ebenfalls an zahlreichen Gefühlserbschaften aus der NS-Diktatur anknüpfen kann.
Die Verfolgung und Selektion der verfemten Menschengruppen und ihre Vernichtung erfolgte strategisch:
Die Akzeptanz in der Bevölkerung hierfür wurde durch Propagandastrategien gebahnt, durch entsprechende Gesetze legitimiert und mittels eigener Organisationsstrukturen europaweit in allen eroberten Ländern und Regionen gewaltsam durchgesetzt. Die Propagandastrategien folgten drei Schwerpunkten: das sich massiv wiederholende Beschwören
- einer Bedrohung der „rassischen Reinheit des deutschen Volkes“,
- einer „biologischen Bedrohung“ und
- einer sozialen, politischen und/oder „ideologischen Bedrohung“.
Diese heraufbeschworenen Bedrohungen ließen Abneigung, Hass, Entwertung, Ausgrenzung gegen ganze Menschengruppen schüren, die vom ideologischen Ideal- und Normen-Spektrum abwichen oder dieses politisch, kulturell und wissenschaftlich infragestellten und alle Gruppen, Vereinigungen etc. oder Individuen, die diesen „Bedrohungen“ in irgendeiner Weise zuordenbar wurden, entwerten, diffamieren, sozial isolieren, bekämpften und verfolgen, sie inhaftieren, in Ghettos, Arbeitslagern/ KZs zusammenpferchen, arbeitsmäßig oder anderweitig ausbeuten, durch die dort herrschenden Lebensbedingungen und Anforderungen brechen, lebensgefährlich schädigen und später gezielt durch Erschießen und Gas ermorden.
Welche Menschengruppen betraf diese systematische Entrechtung und Verfolgung?
Neben politischen Gegnern wie Sozialdemokraten und Kommunisten, Gewerkschaftlern und freiheitlich demokratisch Orientierten traf diese Verfolgungsstrategie Widerständige aus dem Militär, Kriegsaussteiger und Kriegsverweigerer. Aber auch offen auftretende oder denunzierte Kritiker der NS-Diktatur und ihrer Politik wurden Opfer dieser Verfolgung und erst recht einflussreiche, für Freiheit und Diversität eintretende Intellektuelle, Künstler und Kulturschaffende. Aber auch lediglich öffentlich präsent bleibende Unzufriedene, kirchliche Widerständige, spirituell-politisch Abweichende wie z.B. Theosophen oder Zeugen Jehovas, als Asoziale oder Arbeitsunwillige Gebrandmarkte und Obdachlose, Homosexuelle, psychisch kranke und behinderte Menschen, die nun als „Ballastexistenzen“ galten, wurden verfolgt und ab Herbst 39 ermordet. Auch Menschen mit anderen ethnischen Wurzeln wie z.B. Sinti und Roma, Schwarze und Menschen mit slawischen Wurzeln in den „Ostgebieten“. Wie „die Juden“ galten auch sie als rassisch „minderwertig“ und wurden in ihren Rechten eingeschränkt, verfolgt und als Zwangsarbeiter verschleppt und ausgebeutet.
Allen voran wurden Menschen mit jüdischen Wurzeln und deren Familien gezielt verfolgt.
Gemäß der propagandistisch behaupteten „Bedrohung der „rassischen Reinheit des deutschen Volkes“ wurde bereits ab November 1935 durch die „Nürnberger Gesetze“ auch schon die Verfolgung sogenannter „Volljuden“ und „Mischlinge“ eingeleitet, wofür nun die Begriffe „Mischehe“ und „jüdische Mischlinge 1. und 2. Grades“ publik gemacht wurden. Die mit sogenannten „Deutschblütigen“ Verheirateten galten jetzt als verunreinigende Elemente der „arischen Rassereinheit“, was ihre Diskriminierung und die Einschränkung ihrer Freiheiten und Grundrechte zur Folge hatte und bald schon die Partner mitbetraf, wenn sie sich nicht scheiden ließen. Dies wurde wenig später durch das „Ehegesetz“ weiter verschärft. Bereits sexuelle Beziehungen mit Menschen jüdischer Herkunft wurden bestraft. Für all dies war schon früh der Begriff „Rassenschande“ in Umlauf gebracht worden. Nachbarn, Freunde, Geschäftspartner etc. waren nun „die Juden“ und die galten im nächsten Schritt als „Volksfeinde“. Diese wurden von 1933 an von der NSDAP gezielt verfolgt und dann versucht, sie schnellstmöglich aus allen Gesellschafts- und Lebensbereichen auszugrenzen. Dies wurde durch insgesamt 2.000 antijüdische Gesetze oder Ergänzungsverordnungen immer weiter verschärft, was ihren Freiheits- und Existenzraum immer stärker einschränkte. Ab Sommer 1941 wurde die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung im Osten vorbereitet. Ab September 1941 mussten alle Juden in Deutschland den „Gelben Stern“ tragen und wenig später setzte der Völkermord an ihnen mit den Deportationen in Ghettos und KZs im Osten ein.
Der rasche gesellschaftliche Gleichschaltungsprozess war von Anfang an die Basis.
Er war Mitte 1934 durch Übernahme der wichtigsten Verbände in die Organisationsstruktur der NSDAP weit fortgeschritten, womit eine nahezu vollständige Kontrolle aller gesellschaftlichen Bereiche möglich geworden war. Presse, Film und Rundfunk waren da schon längst Werkzeuge der Manipulation und Verhaltensbeeinflussung geworden. Lediglich die beiden großen Kirchen boten gegen die rücksichtslose Gleichschaltung Widerstand - 1933 waren noch über 62 % der Deutschen Mitglieder der protestantischen und über 32 % der katholischen Kirche. Ihr Einfluss auf das religiös-ethische und mitmenschliche Verankert-Bleiben im Denken und Fühlen vieler Menschen galt als potenzielle Gefährdung des NS-Machterhalts mit seinen Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Vernichtungsstrategien, weshalb man diese zu mindern oder zu umgehen versuchte. Moralisch ethischer Einspruch, Widerspruch gefährdete z.B. noch 1941 die Durchführung der NS-Ausmerze-Politik mit ihrer Selektion und Tötung sogenannter „Ballastexistenzen“ (T4-Aktion). Deshalb wurde diese auch vertuscht und den Angehörigen gegenüber meist Krankheit als Todesursache angegeben. Ähnlich wurden auch die Massenerschießungen der Juden zu vertuschen versucht, wie Himmlers „Aktion 1005“ gegen Kriegsende zeigt. Insgesamt diente auch die Herabwürdigung von Intellektuellen und ein alle Bevölkerungsschichten durchziehendes Bespitzelungssystem dazu, den moralisch ethischen Einwänden, Ablehnungshaltungen in der Bevölkerung ein mächtiges Bollwerk entgegen zu setzen und die ideologische Gleichschaltung zu sichern. Die öffentliche Meinung und möglicherweise in Kritik umkippende Stimmungslagen wurden bis zuletzt mit sich stetig wiederholenden propagandistischen Mitteln einzuhegen versucht, wie die Rede vom Endsieg noch unter dem Bombenhagel der Alleierten gegen Kriegsende zeigt.
Die psychischen Schalthebel zur Gleichschaltung
Die Angst vor allem ideologisch Abweichenden und „(Art-)Fremd“-Gehaltenen als Bedrohung und die Angst, damit identifiziert zu werden, war die eine motivationale Quelle für den Erfolg der Gleichschaltungspolitik durch freiwillige Anpassung. Die andere Quelle hierfür war die Aufwertung des sozialen Werts und Selbstwerts durch ein Teilhabeangebot an einem „Wir“ als Teil eines höherwertigen, größeren Ganzen, welches durch ein arisch-ideologisches Rassenursprungs-, Eliten- und Reinheitskonstrukt konstruiert war und ideologisch präsent gehalten wurde. Beide Gleichschaltungshebel wurden propagandistisch erzeugt und dienten nicht nur der angestrebten Spaltung der Gesellschaft mit ihrer bipolaren Unter- und Herrenmenschen-Identifizierungen, sondern auch der Anpassung an das Führerprinzip und an das Diktat des Führerwillens. Diese bipolare Anpassungsdynamik war Teil der psychosozialen Grundlagen für eine Einbindung in die NS-Verfolgungs-, Vernichtungs- und kriegerische Raub- und Invasionspolitik. Denn diese Art der politischen Einflussnahme baute darauf, alle von ihrer Herkunft und Lebensart her Abweichenden zu Objekten der Abwertung im Dienst der eigenen Aufwertung werden zu lassen, sich selbst davor schützen zu wollen und deshalb lieber zu einer völkischen Elite aus „Gleichen“ zu gehören. Zugleich standen damit auch die Vertreter der abgewerteten Menschengruppen als Sündenböcke zum Abladen von Unzufriedenheit und Wut zur Verfügung. Beides diente als sozialpsychologisches Instrument ideologisch-politischer Gleichschaltung und Einhegung von potenziell politischem Missmut und einer Akzeptanzgewinnung für die NS-Verfolgungspolitik, bahnte aber auch eine Bereitschaft, der Forderung, dem NS-Regime mit Leib und Leben zu dienen (Hingabeideal „von der Wiege bis zur Bahre“), nachzukommen.
Die Anpassungsfunktionen Selbstsicherung und heimlicher Widerstand
Auch wenn dies nicht griff, beinhaltete ein Sich-Anpassen ohne lautes Murren, die Gewissheit, auf Seiten der gesellschaftlich Mächtigen und so einigermaßen geschützt zu sein, auch eine Absicherung der eigenen und familiären Existenz. Zudem eröffnete es Aufstiegschancen und Machtteilhabe an den gesellschaftlich schon bald etablierten Macht- bzw. Hierarchiestrukturen.Galt diese Anpassung nur nach außen hin, entstand eine kognitive Dissonanz oder – wenn diese unerträglich wurde – auch oftmals lebenslange Spaltungs-Phänomene und band sie in eine Loyalität gegenüber dem NS-Täter-System und ihren Menschlichkeitsverlust ein. Einer Minderheit half diese Dissonanz auch, sich nach außen hin anzupassen und daneben heimlich mit den Verfolgten in Kontakt zu bleiben, ihnen heimlich zur Flucht zu verhelfen oder sie anderweitig zu unterstützen oder sie sogar zu verstecken.
„Anders“ zu sein, abzuweichen war existenzgefährdend. Und dies regulierte für Viele noch lange nach 1945 Psychodynamik und Verhalten. Abweichung als Bedrohung von außen und Gefahr für einen selbst blieb in den Familien tief verinnerlicht und wirkte vielfach in den nachfolgenden Generationen weiter.
Zur Legitimierung der Verfolgung und der ihr nachfolgenden Vernichtung wurden stets zuerst Gesetze und Verordnungen geschaffen.
Diese war ein fester Bestandteil des strategischen Vorgehens in der NS-Verfolgungs- und Selektionspolitik, die den Maßgaben der NS-Ideologie und den geopolitischen Aneignungszielen folgte.
Hierfür wurden nicht nur ab Dezember 1934 durch das „Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich" die Justiz zentralisiert und gleichgeschaltet, sondern auch in anderen Bereichen zur Durchsetzung nötige Ämter und Organisationsstrukturen erschaffen und vorhandene ideologiekonform ausgerichtet und so entsprechende gesellschaftliche und berufsbezogene Strukturen erschaffen und vorhandene genutzt. Z.B. wurden schon 1933 Parteitreue zu Hilfspolizisten ernannt und für Hausdurchsuchungen, Verfolgung und Inhaftierung politischer Gegner eingesetzt. Es entstand die für die Verfolgung entscheidende geheime Staatspolizei (GeStaPo) und die KZs mit ihrer Vernichtung durch Arbeit, Hunger, Seuchen und Gas erschufen ebenfalls einen eigenen Personalstab, der die Häftlinge überwachte, selektierte und danach entweder zur Arbeit antrieb oder sofort ermordete.
Das Blutschutzgesetz ließ ab September 35 jüdischen Menschen eine minderwertige Rassenzugehörigkeit und Gefährdung der Reinheit des „deutschen Blutes“ zuschreiben, sondern war die Legitimationsbasis für alle nachfolgenden Entrechtungsverfügungen bis hin zum Völkermord. Alle darauffolgenden Rasse-Gesetze und Verordnungen sprachen der Verfolgung und Ermordung der von der NS-Diktatur geächteten Menschen/ Menschengruppen nicht nur Rechtmäßigkeit zu, sondern statteten auch ihre Durchsetzung mit Staats- und Polizeimacht aus. Diese verschärfte sich für jüdische Bürger durch insgesamt 2.000 antijüdische Gesetze und Ergänzungsverordnungen.
In die Organisation und Ausführung von Verfolgung, Inhaftierung, Isolierung in Lagern und KZs sowie in die Ausbeutung und Ermordung dort waren zahllose Menschen involviert
Bis Herbst 1939 gab es bereits an die 2.000 KZ-WächterInnen. Ihre Zahl war bis Anfang 1935 bereits auf 24.000 gestiegen. Später blieben die KZs mit ihren Außenlagern nicht nur Instrumente der politischen und rassistischen Repression, Selektion und Vernichtung, sondern wurden Zentren wirtschaftlicher Ausbeutung oder dienten medizinischen Versuchen. Die Anzahl der in die bürokratischen, produktions- und infrastrukturellen Funktionen dieser Verfolgungs-/ Verwertungspolitik Verwickelten wuchs mit der Anzahl der Lager. Die eigene Rolle als Mit-TäterInnen in diesem Verfolgungs-, Selektions- und Vernichtungssystem wurde auf Nachfragen bei der Entnazifizierung durch die Alliierten und später durch die Kinder und Enkel verschweigen. Dies „löschte“ jedoch nicht die intra- und interpersonalen Folgen des verübten Verrats an den zuvor geteilten Werten oder an nahestehenden gefährdeten Personen. Das beim eigenen Mit-Tun und Wegschauen gewachsene menschliche Erkalten wirkte über ihr Verhalten, Reden, über die fehlende Innigkeit, Nähe und auch atmosphärisch in den Familien weiter -- bis in die nächsten Generationen, während das Verschwiegene die Nachfahren an das Verborgen-Gehaltene band. Und bei den überlebenden (Ur-)Groß-)Eltern und ihren Familienangehörigen fehlten für die erlebte Entrechtung und Entwürdigung, Verfolgung, Inhaftierung, Verschleppung in KZs und die Verluste von Partner, Kindern und Freunden, der Familie als Ganzer, ihrer Existenz und aller Identitätssäulen und die immer wieder erlebten Todesängste durch eine omnipräsente Gewalt, durch Hunger, Zwangsarbeit, Kälte und Seuchenansteckung die Worte. Dies alles war übermächtig und verfolgte die Überlebenden zeitlebens, was sich in ihren Familien und ebenfalls transgenerational auswirkte.
Die NS-staatliche Verfolgung erfolgte europaweit
Als die Nazis im Zweiten Weltkriegs (1939–1945)einen Großteil Europas unter ihre Kontrolle brachten, wurden auch hier unzählige Menschen Opfer ihrer Verfolgungsstrategien. Auch hier bestimmte nun die NS-Ideologie über Dasein und Existenzrecht und wurden nun alle als tatsächliche oder vermeintliche Feinde Wahrgenommenen aufgespürt, in Schutzhaft genommen, gefoltert, in Lagern selektiert, ausgebeutet und ermordet. Dies ging nicht ohne die Mithilfe der Menschen vor Ort, den lokalen Hilfskräften. Es wirkten zahllose Kollaborateure mit, deren Anteil an den NS-Verbrechen in den betreffenden Ländern nach wie vor dort kaum thematisiert und aufgearbeitet ist. Auch hier diente die Verfolgungspolitik der Gleichschaltung und Durchsetzung von NS-Interessen und gesellschaftlicher Gleichschaltung. Hier war sie fester Bestandteil einer geopolitischen Machtsicherungs-, Ausdehnungs- und Ausbeutungspolitik. Unzählige Menschen wurden aus den besetzten Ländern ab dem Jugendalter als ZwangsarbeiterInnen aus ihren Familien gerissen. Sie mussten „für das Reich“ die Kriegsproduktion und auf den Bauerhöfen die Ernährungssicherheit aufrechterhalten und waren rechtlos deren Willkür ausgesetzt. Sich hier zu verweigern, konnte für sie schlimme Folgen haben.
Zu den wichtigsten Zielen der Verfolgung gehörte ab Kriegsbeginn auch die Ausschaltung der europäischen Juden. Sie bilden die größte aller verfolgten und gezielt vernichteten Menschengruppen. Ein Protokoll der Wannsee-Konferenz zeigt, wie diese Menschen zahlenmäßig für jedes Land – auch für die Schweiz - erfasst waren und gezielt ergriffen und ermordet werden sollten. Für diese Strategie wurden in den eroberten europäischen Ländern hierzu dienende Organisationsstrukturen aufgebaut wie z.B. Ghettos und KZs, für die auch Einheimische Funktionen übernahmen. Widerstand gegen die deutschen Besatzer führte zu wahlloser und unmittelbarer Verfolgung und Vernichtung möglicher Verdächtiger und auf dem Land zu zahllosen Massakern in den vermuteten Heimatdörfern der Widerständigen.
Straf-Massaker und Massenerschießungen - im Westen wie im Osten Europas
Oft wurde eine willkürliche Anzahl von Männern auf Verdacht hin erschossen. Manchmal wurden die Bewohner, auch die Alten, Frauen und Kinder, in Gebäuden zusammengetrieben und diese angezündet. Beides geschah z.B. im französischen Dorf Oradour sur Glane. Hier ermordeten 44 Mitglieder der Waffen-SS auf diese Weise die Bevölkerung und zerstörten ihr Dorf völlig. Was hier geschah, gilt als das größte in Westeuropa verübte Massaker. Insgesamt kam es in Europa zu hunderten von ethnisch motivierten Verfolgungen und Massenerschießungen.
Im Osten, z.B. in der Ukraine, die zur Kolonialisierung, Germanisierung und Nutzung als Getreide-Exportland für Europa erobert werden sollte, war geplant, hierfür 50 Millionen Menschen zu töten, um Platz für deutsche Bauern und Siedler zu schaffen. Dieser Plan wurde in Teilen durch die Hungerpolitik in den größeren Städten wie Charkiw und Kiew umgesetzt. Hier waren es die „Slawen“, die als sogenannte „minderwertige Rasse“ stigmatisiert der „arischen Höherwertigeren“ Platz zu machen hatte. Aber auch hier stand die Ermordung der Menschen mit jüdischen Wurzeln wieder an erster Stelle.
So wurden im Osten Erschießungen von geschätzt mehr als 8 Millionen jüdischen Menschen verübt („Holocaust durch Kugeln“), an denen auch die Wehrmacht massiv beteiligt war (Nürnberger Nachrichten, 30.08.2025, S.3). In Drobyzkivi Jar wurden 1941/ 42 innerhalb von nur wenigen Monaten an die 16.000 Menschen erschossen, beim Massaker von Kamjanez-Podiskyj waren es 1941 rund 23.600 jüdische Kinder, Frauen und Männer und der Name der Schlucht Babyn Jar steht für das größte Einzelmassaker des 2. Weltkriegs, verübt von deutschen Polizisten, SS-Leuten und Wehrmachtssoldaten. Hier wurden 33.700 Menschen in nur 2 Tagen ermordet.