A.3.1 Einleitung: Bis heute meist übersehen: Die Nachwirkungen bei Kindern/ Enkeln mit nur einem jüdischen (Groß-)Elternteil

Da es meist jüdische Kolleg*innen waren, welche die NS- und Shoa-Folgen und deren Weiterwirken in den jüdischen Familien erforscht haben, blieben die Folgen für Familien, in deren Verwandtschaftsfeld beide Seiten aufeinanderstießen, bis heute nur marginal erforscht. Hier wurde anscheinend nicht weiter differenziert, zumal genügend Familien mit dieser Struktur in Ghettos, Judenhäuser und KZs verschleppt wurden. Wie viele Menschen/ Familien hier bislang ausgeblendet blieben, ist unbekannt. Ich vermute, dass ihre Anzahl nicht gerade klein ist. Und wie viele Kinder der Ermordung durch Nazis ausgeliefert waren, weil sich ein Elternteil dem NS-Rassegesetz folgend vom jüdisch geltenden Partner hatte scheiden lassen, worüber diese Trennungskinder dann amtlich erfassbar geworden waren, machte uns erst kürzlich die digitale Sonderausstellung zur NS-Kinder-„Euthanasie“ in Hadamar Mutti nimm mich mit nach Haus.“ „Jüdische Mischlingskinder“ in der Tötungsanstalt Hadamar 1942 - 1945 bewusst.

Doch wie eine Hinwendung an diese Überlebenden-Gruppe nun zeigt, ist es viel komplizierter. Denn über das „Jüdisch-Sein“ in den Familien mit nur einem jüdischen Elternteil entschieden die Nazis, wobei ab 1942 die Familien mit jüdischen Vätern/ Ehepartnern früher selektiert wurden als die anderen, in denen die Mutter und Ehefrau jüdische Wurzen hatte. Über das Ausmaß der hier trotzdem für alle Familienangehörigen geltenden Gefahren für Leib und Leben, über den Grad ihrer Gefährdung, ihre soziale Anerkennung, ihren Status zu verlieren oder sozialer Ächtung, Verfolgung, KZ-Abtransport, Vernichtung ausgesetzt zu sein, entschieden Zuschreibungen, die zwischen „Jude“, „Halb-Jude“, „Viertel-Jude“ etc. „jüdisch aussehend“, „jüdisches versus deutschblütiges“ Verhalten unterschieden, was einen extremen inner- und außerfamiliären Assimilierungs- und Geheimhaltungsdruck bewirkte und sowohl intra- wie interpersonale Spaltungen großen Ausmaßes nach sich zog.

Hierzu arbeitet eine GT-D-A-CH-Forschungsgruppe. Hier wurde deutlich: wer aus einer solchen Familie kommt und das Wannsee-Protokoll nicht kennt, wird kaum eine Chance haben, aus dem schlau zu werden, was anhand von Nachlässen aus dem Familienhintergrund endlich bekannt wird, warum es zu „freiwilligen Sterilisationen“ der Söhne kam, warum in der Familie so viel Bewertung, Unversöhnlichkeit und Angst herrscht oder warum ganze Teile der Familie nie persönlich kennengelernt werden konnten, weil sie nicht zu existieren schienen.

In diesen Familien ist die Erforschung des verschwiegenen Familienhintergrunds und der damit verbundenen transgenerationellen Weiterwirkfolgen wegen des bis heute anhaltenden Assimilierungs- und Verheimlichungsdrucks (auch den eigenen Nachkommen gegenüber) besonders schwierig. Dieser Teil des Curriculums will das Wenige zusammentragen, was bisher bekannt ist und die persönliche Recherche darüber unterstützen.